DIE NATURRECHTSPHILOSOPHIE VON DAVID BOYD

Die Natur und ihr Recht - Sie ist klug, sensibel, erfinderisch und genügt sich selbst.

Der Kanadier David Boyd arbeitet als Juraprofessor an der University of British Columbia. Er geht der Frage nach, wie es wäre, wenn die Natur einklagbare Rechte hätte. Moralische Rechte entstammen der Ethik, juristische Rechte hingegen sind im Gesetz verankert und müssen durch gesellschaftliche Institutionen vollstreckt werden. Die Evolution von Vorstellungen, Gesetzen, Technik und dem Leben selbst ist kein linearer Prozess, sondern geschieht sprunghaft. Neue Dinge werden erkannt oder für richtig gehalten, allerdings dauert dies mitunter Jahrhunderte. So gingen z.B. in Europa vor gut 100 Jahren Frauen auf die Straße, um das Wahlrecht u.a. zu erhalten. Sie wurden verlacht, bestraft, geschlagen und eingesperrt. Heute ist das Frauenwahlrecht in Europa mehrheitlich verbreitet.

In den letzten 50 Jahren haben Wissenschaftler bemerkenswerte Entdeckungen über die Intelligenz, Gefühle und Kulturen anderer Tierarten gemacht sowie die Verbindung zwischen Ökosystemen und unserem Einfluss auf diese. Ansichten und Werte über andere Tiere, Arten und die Erde ändern sich. Die meisten Mitmenschen reagieren geschockt auf Tierquälerei und das Ausmaß des Artensterbens. Boyd konstatiert in seinem Buch, dass es vielen allmählich dämmert, wie schlecht wir mit dem Planeten umgehen und das dies nicht ewig so weitergehen kann. Für Boyd ist es daher wesentlich zu erkennen, dass 3 Dinge nicht zusammen gehen, wenn man die Natur schützen will: 1) die Meinung, dass der Mensch allem anderen Leben überlegen ist, 2) dass wir Besitzansprüche auf Alles, das lebt, erheben und 3) dass wir unsere Wirtschaft immer weiter ausbauen. Die heutige menschliche Kultur und das sie untermauernde Rechtssystem sind selbstzerstörerisch. Ökologie und Ethik sollen Grundlage des Rechts werden und die Einsicht, dass wir eine von Millionen Spezies sind, die wie alle anderen von gesunden Ökosystemen abhängen, die für Wasser, Luft, beständiges Klima und Nahrung sorgen.

Boyd spricht von einer notwendigen juristischen Revolution, die drei lebenswichtige Konsequenzen hat: 1) sie mindert das Leiden fühlender Tiere, 2) sie beendet das Artensterben und 3) sie schützt die existentiellen Ökosysteme unseres Planeten. Eine Vision, die nur erreicht werden kann, wenn neue Rechte und Pflichten etabliert und durchgesetzt werden. Für Boyd gibt es auf der ganzen Welt Anhaltspunkte dafür, dass Menschen, Gesetzgeber und Gerichte die Rechte anderer Lebewesen auf unserem Planeten wahrnehmen und schützen. Im Folgenden benennt der Boyd Beispiele, wo Gerichte die Interessen gefangener Tiere, wie Wale oder Schimpansen berücksichtigt, oder bedrohte Arten über menschliche Interessen gestellt haben. Dem voraus geht die Erkenntnis, dass man Tiere nicht mehr als Objekte, Güter oder Ressourcen ansieht, sondern als Geschöpfe um ihrer selbst willen. Um dies zu verdeutlichen, spricht er von der Krake Paul, die berühmt wurde, als sie Fußballergebnisse vorhersagen konnte und damit den Blick auf die Fähigkeiten von Kraken zog. Menschenaffen, Krähen, Elefanten und viele andere Arten sind intelligent, sozial und sensibel, und das wissen wir auch. Probleme haben wir mit den Unbequemlichkeiten für uns, die daraus folgen, wenn wir das ernst nehmen.

2010 erlangte Bolivien Weltberühmtheit mit einem Gesetz, das Mutter Erde Rechte zuerkannte. Hier werden die Rechte der Natur und die Pflichten von Regierungen und Menschen durch sieben Leitlinien klar benannt. 1. Auf Leben: das Recht auf die Unversehrtheit lebendiger Systeme und der natürlichen Prozesse, die sie speisen, 2. Auf Vielfalt des Lebens, die es zu erhalten gilt, 3. Auf Wasser, das in seiner Qualität und Quantität bestehen bleiben muss, 4. Auf saubere Luft, deren Verschmutzung zu bekämpfen ist, 5. Auf Ausgewogenheit, d.h. die natürlichen Kreisläufe der Natur zu bewahren, 6. Auf Wiederherstellung der lebendigen Systeme, die durch den Menschen zerstört wurden und 7. Auf ein Leben, das frei ist von Verschmutzung, radioaktivem und toxischem Müll. Ein Anfang, der auch in Bolivien durch die Realität und andere geltende Gesetze zu Wirtschaftsförderung und Industrialisierung selber so manches Mal konterkariert wird, aber dennoch eine Bereitschaft zum Umdenken zeigt.

Boyd berät Regierungen in aller Welt zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen. Sein Buch ist ein Plädoyer für die Rechte der Erde, ihre Ökosysteme und ihre außermenschlichen Bewohner.

Literatur: David Boyd: Die Natur und ihr Recht : Sie ist klug, sensibel, erfinderisch und genügt sich selbst. Wals bei Salzburg: Ecowin, 2018.